‹Microgramma Hebräisch› & Letraset

‹Microgramma Bold Extended›

Die Microgramma wurde 1952 von Alessandro Butti und seinem Assistenten Aldo Novarese für die Schriftgiesserei Nebiolo in Turin geschaffen.  Sie wurde von Nebiolo in fünf Schnitten als Titelschrift für den Handsatz produziert. Anfänglich als reine Grossbuchstabenschrift konzipiert, schuf Novarese 10 Jahre später – mittlerweile einer der bedeutensten Schriftgestalter Italiens[1] – zusätzlich Kleinbuchstaben zur Microgramma und nannte die so ergänzte Schrift Eurostile. Der Schriftgestalter verstand sein Werk als typografischen Ausdruck einer von Fortschrittsoptimismus geprägten Zeit:

«Trough its compact and square lines Eurostile most efficiently expresses modernity and synthesizes the tendency towards a functionalism that solves many aesthetic problems and gives a modern and typical appearance to a printed page. Its outline is already familiar and unconsciously present whenever we look at a television set which recalls to mind the typical shape of an ‹O›. The same impression we get looking at a series of windows of fast moving vehicles.»[2]

Die ursprünglich für den Bleisatz geschaffenen Schriften verbreiteten sich nicht zuletzt auch dank der Firma Letraset Ltd., die sie in ihrem Katalog aufgenommen hatte. Letraset hatte 1961 unter dem Namen «instant lettering» ein Prinzip zur trockenen Übertragung von auf Folie gedruckten Transferschriften entwickelt, dass dem Unternehmen in kurzer Zeit grossen Erfolg bescherte. Bereits 1963 wurde die Firma an der Londoner Börse gelistet und ihre Anreibebuchstaben weltweit in 70 Ländern vertrieben.[3]

 

katalog klein

Letraset Limited '64 October Extensions (Faltblatt, recto/verso)

Bald wurde der Letraset-Schriftenkatalog um nicht-lateinische Schriften erweitert und Ende 1964 erschien im Rahmen der «October Extensions» neben griechischen auch zehn hebräische Schriften – mit einer Ausnahme allesamt originäre Entwürfe, inspiriert von der zeitgenössischen israelischen Werbegrafik.[4] Über die Gestalter/innen ist nichts genaueres bekannt. Es darf aber vermutet werden, dass beim Zustandekommen dieser ersten Hebräischen Letraset-Kollektion Leo und Tamar Osheroff eine Rolle gespielt haben. Das Paar gründete 1964 in Israel «Arta», eine Firma zum Vertrieb von Büro- und Künstlerbedarf mit Läden in Tel Aviv und Haifa.[5] Auf einer Reihe dort verkaufter Bögen mit hebräischen Letraset-Schriften wird Leo Osheroff als Rechteinhaber genannt.

Unter den 1964 von Letraset publizierten Schriften findet sich auch eine hebräische Version der Microgramma, der sich offenbar an einem entsprechenden Entwurf eines Tel Aviver Herstellers von Kunstoffschriften für den Plakatdruck orientiert.[6] Die Letraset-Schrift entspricht dem fetten und breiten Schnitt des Originals und verwendet auch die entsprechenden Ziffern, wobei hier, anders als beim Original, die Strichstärken nicht ganz übereinstimmen. Die Microgramma Hebräisch überträgt die zentralen Gestaltungsprinzipien des lateinischen Vorbilds relativ frei auf die Grundformen der 27 hebräischen Lettern. Aufgrund der Unterschiede zwischen den beiden Schriftsystemen tritt bei der hebräischen Version gerade das für das ursprüngliche Schriftbild so bestimmende abgerundete Rechteck – das Novarese u.a. auf die Form des klassischen Fernsehbildschirms bezieht – weitgehend in den Hintergrund. Dennoch entspricht der Gesamteindruck der Schrift dem der Microgramma.

 

Letraset-Bogen «Microgramma Hebrew» (S3747)

Letraset-Bogen S3747 (Microgramma Hebräisch)

Verwendung fand die Microgramma Hebräisch in Israel unter anderem auch bei der Beschriftung des 1965 feriggestellten Shalom Tower (Migdal Shalom Meir) in Tel Aviv. Das 34-stöckige Hochhaus war lange Zeit das höchste Gebäude des Nahen Ostens. Errichtet wurde es an Stelle des dafür abgerissenen Herzl-Gymnasiums aus dem Jahr 1909. Seine Geschichte macht das Hochhaus zum Symbol einer ebenso optimistischen wie rücksichtslosen Moderne.[7]

Shalom Tower, Tel Aviv

Beschriftung «Migdal Shalom Meir», Tel Aviv

 

[1] Vgl. «Aldo Novarese», Index Grafik, 25.04.2016.

[2] Aldo Novarese: «Eurostile, a Synthetic Expression of Our Times», Pagina, Nr. 4 (1964).

[3] Vgl. Jane Lamacraft: «Rub-down revolution», Eye Magazine, Nr. 86 (2013).

[4] Ein späterer israelischer Katalog nennt die Namen «Etz Atik», «Zwiah», «Polly», «Rahel» , «Shmuel», «Mizrahi», «Microgramma», «Grotesque», «Armon» und «Meurav». Vgl. Arta/Letraset Reference Book (1988).

[5] Im Arta-Hauptgeschäft an der Nahalat Binyamin Strasse 83 in Tel Aviv findet sich heute noch eine grosse Auswahl von Letraset-Bögen mit lateinischen, hebräischen, kyrillischen und arabischen Schriften.

[6] Vgl. Katalog Otiot Sadeh (1955, ca.).

[7] Vgl. Esther Zandberg: «September 9, 1965: Tel Aviv’s Shalom Tower Inaugurated», Haaretz, 16.06.2016.